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Ahnenforschung Birgit Hüttebräucker
Damals in Herscheid

Einweihung der Bahnstrecke Herscheid-Plettenberg 1915

Von Birgit Hüttebräucker Juli 2015
 Quelle: Sonntagsblatt für die evangelische Gemeinde Herscheid 1915)

Am 08. Juli 1915 wurde die Bahnstrecke zwischen Herscheid und Plettenberg eröffnet. Das über diesen besonderen Tag und die vorangegangenen Ereignisse, tagebuchähnliche Aufzeichnungen existieren, haben wir dem vor 100 Jahren in Herscheid amtierenden Pfarrer Arnold zur Nieden, zu verdanken. Er hatte es sich Aufgabe gemacht, in dem Herscheider Sonntagsblatt über die Fortschritte des Bahnbaues, den Tag der Eröffnung der Bahnstrecke und über die, damit in Verbindung stehende, letzte Fahrt der Postkutsche zu berichten. Ein Grund für diese Berichte war auch, dass diejenigen Herscheider, die im Kriegsjahr 1915 an der Front dienten, über die wichtigen Geschehnisse ihrer Heimatgemeinde informiert wurden. Das Sonntagsblatt war für die Soldaten eine wichtige Verbindung in die Heimat. Dank dieser 100 Jahre alten Aufzeichnungen, die sich heute im Archiv der ev. Kirchengemeinde Herscheid befinden, sind wir heute in der Lage, uns die Geschehnisse der letzten Wochen vor Eröffnung der Bahnstrecke, noch einmal in Erinnerung zu rufen.
1915 erste Zug

Pastor zur Nieden begann mit seinen Berichten am Sonntag. 09. Mai 1915:

 Der Einzug der verbündeten Franzosen und Russen in Herscheid ist erfolgt! Allerdings unter sicherem Geleit. Am 29. April zogen 40 gefangene Franzmänner, welche bereits des längeren am Eisenbahn-Bau helfen mussten, in die Kantine Wwe. Graf in Hüinghausen ein. Demnächst werden weitere 40 Russen im Dorf einquartiert, um in den Habbelschen Waldungen mit Lohschneiden u.a. beschäftigt werden. Das Erscheinen des ersten Rothosen am letzten Dienstag im Dorf, ergab namentlich bei der Kinderwelt begreifliches Aufsehen. Neben Mitleid, Freude und Stolz, die uns beim Anblick ergreifen, bleibt doch in erster Linie zu beachten, dass wir in den Gefangenen unsere Feinde vor uns  zu sehen haben und äußerste Zurückhaltung am Platze ist. Widrigkeiten werden öffentlich gerügt werden. ----  Außer den Genannten werden auch noch etwa 20 Russen in Kiesbert interniert, um zu allerlei Rode-, Wald-, Wege,- und Landwirtschafts Arbeiten herangezogen zu werden.

Sechs Wochen später, am Sonntag den 13. Juni 1915 berichtete der Herscheider Pfarrer folgendes:

Unsre Eisenbahn geht mit schnellen Schritten der Vollendung entgegen. Zur Zeit ist man eifrig mit Schienenlegen beschäftigt. Täglich werden etwa 300 Meter Strecke geschafft, Anfang Mai in Plettenberg begonnen, stand der Arbeitszug nach knapp drei Wochen bereits auf Hüinghäuser Boden und wird in den nächsten Tagen Bahnhof Birkenhof erreichen. So räumt die Arbeit bei dem selten trockenen Wetter, welches zur Zeit hier herrscht, zusehends. Die Gefangenen arbeiten fleißig. Dafür sorgen schon die blinkenden Bajonettspitzen! So steht zu erwarten, da auch die Gebäude der Bahnhöfe (Kleinigkeiten ausgenommen) bereits bis auf die Möbel in den Wartesälen und die Telephontische in den Diensträumen empfangsbereit stehen, dass der oft verschobene Termin eingehalten wird. Auch die Zufahrtswege werden bis dahin wohl ihre letzte feste Decke erhalten haben. Also freuen wir uns in der Heimat auf den 1. Juli! Wenngleich die Feier selbst in aller Stille verlaufen dürfte.

Die Feier, die für den 1. Juli geplant war, hat sich dann doch um wenige Tage verschoben denn am 4. Juli 1915 folgte ein weiterer Bericht des Pfarrers Arnold zur Nieden im Sonntagsblatt:

An der neuen Eisenbahn Plettenberg-Herscheid ist rund 2 Jahre gebaut worden. Die ersten Grunderwerbsverträge in der Gemeinde wurden im August 1912 abgeschlossen und am 12. Oktober bereits erfreute die kleine Arbeitslokomotive mit langhallendem Pfiff die Bewohner des Dorfes. Es standen 4 Arbeiterkantinen auf Herscheider Boden, oberhalb Hüinghausen (Cardenzana), unterhalb Ramberges (Wwe. Graf), im Grüntal (Kirchner) und im Dorf (Bonecco). Die 16,2 Kilometer lange Strecke hat mit ihrem Tunnel, Brücken und Einschnitten unserem gewerbereichen Tal neue Reize verliehen. Die Strecke wird aufwärts in 48, abwärts in 38 Minuten durchfahren, bei 5 Zwischenstationen: Plettenberg-Oberstadt, Köbbinghausen, Hüinghausen und Birkenhoff. Vier Zugpaare verkehren zunächst von Herscheid 6,12/  8,42/ 1,57/ 7,31 und nach Herscheid 7,26/ 12,50/ 6,35/ 10,10. Der Bahnhof hat eine feste Rampe für Kopf und Seitenverladung. Plettenberg-Haltepunkt und Köbbinghausen dienen nur dem Personenverkehr. Die neuen Stationen sind dem Betriebsamt, Maschinenamt und Verkehrsamt Altena, sowie dem Werkstättenamt Siegen zugeteilt. Die Übergabe an den Verkehr erfolgt am 8. Juli ds. Js. Von jeder offiziellen Einweihungsfeierlichkeit ist aus begreiflichen Gründen Abstand genommen worden. Dennoch wollen es sich die Herscheider Bürger nicht nehmen lassen, den berechtigten Gefühlen dankbarer Freude Ausdruck zu verleihen innerhalb der Grenzen, welche die ernste Zeit gebietet! So wird der schmucke Bahnhof in Fahnen und Guirlanden gekleidet werden und der erste Zug am Donnerstag früh 8,14 im Dorf mit Böllerschüssen und Glockengeläut festlich empfangen werden.

Vier Tage später, am Donnerstag den 08. Juli 1915 wurde die Bahnstrecke zwischen Herscheid und Plettenberg feierlich eingeweiht. Über dieses Ereignis, berichtet Pfarrer zur Nieden im Sonntagsblatt am 11. Juli 1915:

Der Festtag der Eisenbahn-Einweihung ist vorüber gerauscht. In steigendem Maße gehörten die Gedanken während der letzten Zeit der Bahn, an welcher die Rothosen mit verdoppeltem Eifer schafften, um fast wider Erwarten doch noch alles fertigzustellen. Am Montag den 5.7. fand die vorschriftsmäßige Abnahme der statt, am Mittwoch Abend eine besondere Feier für Herscheid in dem frischen, saubren Güterschuppen, der als Festsaal hergerichtet war. Im dauernden Gedächtnis wird vor allem der Donnerstag früh bleiben. Vom Himmel her flutet heißer Sonnenglanz, aus Birken und Tannengebüsch grüßten die Bahnhöfe doppelt freundlich hervor, grüne Guirlanden und Kränze, bunte Bänder und Fahnentücher flatterten fröhlich im Wind. Da nahte der erste Zug der Gemeindegrenze. Genau 7,59 Uhr wurde er mit freudigem Zuruf in Hüinghausen, um 8,30 Uhr am Birkenhoff festlich empfangen, immer neue Fahrgäste zugleich aufnehmend. Um 8.10 Uhr wurde er von Herscheid aus ansichtig. Brausender Jubel erscholl, als er die quer über die Gleise gespannte Guirlande durchbrach. Musik und Gesang setzten ein. Die ersten Reiselustigen entstiegen dem Wagen. Ein Begrüßen und Händedrücken, ein kurzer Willkomm, und vom Dorf her klangen die Glocken herüber und kündeten Bergen und Menschen die große Freude vom Beginn einer neuen Zeit für unseren Waldwinkel. Und doch war alle Freude sichtlich nur halbe Freude beim Gedanken: „Krieg“! Aber wessen Herz klopfte nicht lauter in Vorfreude beim Gedanken an die Fahnen und Guirlanden, den Jubel und das Glockenläuten dann, wenn uns einmal die Eisenbahn unsere tapferen Krieger und Helden wieder ins Land bringt! Dass dieser ersehnte Freudentag für uns daheim und für Euch dort draußen im Feld bald kommen möchte, ist unser aller Herzenswunsch in diesen Tagen gewesen. Gott walts!

Noch einiges für die Akten. Auf Herscheider Boden waren 390 000 cbm. Erdreich zu bewegen, 6000 cbm. Mauerwerk aufzuführen. Der einzige Tunnel, am Ramberg misst 117 Meter Länge, seine Kosten betrugen über 100 000 M. Die große Lennebrücke zwischen Eiringhausen und Plettenberg kostete rund ½ Millionen Mark. Hier merkt doch auch jeder, der es früher nicht merken wollte, mit Befriedigung, wo die vielen Staatssteuern blieben. Die Strecke misst auf Herscheider Boden 6,8 Kilometer. Der erste Spatenstich geschah am 5. September 1912. Am 23. Oktober begann der erste Bagger in der Pastoratwiese seine vielbewunderte Tätigkeit. Der Löffel fasste ungefähr 5/4 cbm., geleistet wurde je nach der Bodenbeschaffenheit bis zu 7 – 800 cbm täglich. Bauunternehmer war die Firma Köddermann in Düsseldorf. Die Gesamtkosten betragen rund 6,1 Millionen M. Wie leider fast stets ist auch unsere Bahn in gewisser Weise mit Blut erbaut worden. Die Zahl der Unglücksopfer war sogar verhältnismäßig groß zu nennen. Im ganzen geschahen 8-9 Todesfälle, auf Herscheider Boden allein 4.

Hier enden die Berichte des Herscheider Pfarrers Arnold zur Nieden über den Bau der Eisenbahnstrecke und den Tag der feierlichen Einweihung.

Herscheider Weiße Ahe2

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